Teil 1

Einen Weihnachtsbericht über meine freiwillige Arbeit für die Ukraine zu schreiben, ist nicht so einfach. – Wann fängt Weihnachten an? Die Schokoladenindustrie stellt ab September Weihnachtsmänner in die Supermärkte und so ähnlich ist es bei uns auch. – Im Verein „Go 4 Ukraine e.V.“ (Go4U) beschließen wir zum Ende des Sommers ebenfalls eine Weihnachtsaktion: „Weihnachten im Schuhkarton“, für Kinder, Familien und Soldat:innen in der Ukraine und jetzt könnte ich wie in Tolstois „Krieg und Frieden“ auf 1800 Seiten berichten, was dann passiert. – Mache ich aber nicht, zusammenfassend wird in den folgenden Wochen viel, extrem viel, ehrenamtliche Arbeit geleistet.

Es ist der 23. Dezember 2025 um 17:00 Uhr. Ich befinde mich im Lager von Go4U in Berlin-Marzahn. Mein Van parkt im Gewerbehof. – Ich muss morgen, am 24. Dezember, bis spätestens 12:00 Uhr alle Geschenke bei der Nova Poshta in Lviv abgegeben haben. Die NP ist so etwas wie die ukrainische DHL. Und 12 Uhr ist wichtig, damit alle Geschenke pünktlich am 25.12. bei den Empfänger:innen eintreffen. Mir bleiben 18 Stunden, um den Van zu laden, 980 Kilometer in die Ukraine zu düsen, eine europäische Außengrenze zu passieren und alles bei Nova Poshta einzubuchen.

Natürlich ist der Van zu klein. Selbst als Tetris-Superstar, der ich nach vier Jahren Krieg und dem permanenten Laden und Entladen von Vans und Trucks geworden bin: Es passen einfach nicht alle Geschenke herein!

Ich erinnere mich an die Teddybären für die Kinder-Krebsstation. (Ja, auch im Krieg haben Kinder Krebs und bekommen Chemo und diese ganzen Behandlungen.) – Es waren 14 Kisten, ich lade die Kartons aus und stopfe die Teddys in alle Lücken und Löcher zwischen die Ladung, bis es passt. – Dann rufe ich die Freiwillige Natalia an, welche sich um die Deklaration für die EU-Außengrenze kümmert. – Sie bekommt fast einen Herzinfarkt, als ich ihr erzähle, dass ich 14 Kisten umgepackt habe. „Wir können die Deklaration nicht mehr ändern!“, sagt sie erregt am Telefon und wünscht mir viel Glück bei der Diskussion am ukrainischen Zoll. – Ja. Ich kenne diese Diskussionen um dieses Stück Papier an der Grenze. Leider. Aber ich lasse definitiv keinen Teddy in Berlin zurück!

Es ist 20:30 Uhr, ich fahre endlich los. Es sind noch 14,5 Stunden Zeit. Irgendwo in Polen, mitten in der Nacht ziehe ich mich auf einer Autobahntoilette um. Raus aus den Klamotten, welche zum Packen im Lager geeignet sind, in ein schönes Kleid. In Rosa mit viel Tüll, damit der Zoll sofort weiß, dass ich eine Macke habe, und mir nicht erklärt, wie es eigentlich richtig laufen sollte.

An der Grenze alle Vorgaben des Zolls korrekt zu erfüllen, versuche ich seit vier Jahren Krieg erfolglos.

Ich fahre durch die Dunkelheit. Ich bin schon 20 Stunden wach, kämpfe mit der Müdigkeit, aber die Kinder, Familien und Soldat:innen sollen ihr Geschenk pünktlich bekommen. – Ich erreiche die polnisch-ukrainische Grenze um 03:40 Uhr in der Nacht. – Es ist voll, viele Ukrainer:innen wollen zu Weihnachten zu ihren Liebsten. – Alle wollen schnell in die Abfertigung, damit sie die Anschlusszüge erwischen. Bei der polnischen Abfertigung hilft mir mein EU-Pass um bevorzugt behandelt zu werden, und meine duzenden Ein- und Ausreisestempel. Wir kennen uns schon … Und mittlerweile sprechen die Zöllner:innen auch Englisch. In den ersten Jahren haben sie mich ausschließlich auf Polnisch angeschnauzt, und immer, wenn ich sagte: „Ich verstehe kein Polnisch.“, haben sie einfacher lauter gesprochen. Das war Slapstick.

Bei der ukrainischen Abfertigung geht es heute nicht weiter. Alles ist verstopft. Überall stehen Minibusse, Reisebusse und Privatfahrzeuge. Dazwischen die 4×4 Offroad-Pickups, welche von Freiwilligen eingeführt wurden, umlackiert werden und dann an die Front müssen: Zur Luftabwehr, zu medizinischen Evakuierung, und im Regelfall werden Sie die nächsten 12 Monate nicht überleben und von FPV-Drohnen zerstört werden.

Es ist 6 Uhr am Morgen, ich bin jetzt 24 Stunden wach, endlich komme ich zur ukrainischen Vorkontrolle, endlich darf ich meine humanitäre Deklaration zeigen und komme sofort auf die Abfertigungslinie mit hoher Priorität, so wie die Pickups für die Front. – Um 07:45 Uhr befinde ich mich in der Ukraine. „Welcome back.“, flüstere ich und gebe Gas, passe mich dem verrückten, osteuropäischem Fahrstill an, fahre durch Wälder und Berge zur westlichen Millionenstadt Lviv.

Mir kommen Intensivkrankenbusse entgegen. Das sind Reisebusse, welche zu Krankenwagen umgebaut wurden und 12 schwerverletzte Soldat:innen transportieren können. Die Busse fahren zur Grenze, damit die Behandlung in einem europäischen Krankenhaus erfolgen kann. An den Bushaltestellen rauschen Soldat:innen in Tarnuniformen vorbei, die orthodoxen und katholischen Kirchen sind weihnachtlich geschmückt. Auf den Friedhöfen sehe ich die frischen Gräber. Es werden mit jedem Besuch in der Ukraine mehr. – Ich erreiche Lviv. Der Verkehr stockt. Ein gefallener Soldat wird durch die Stadt zum Friedhof transportiert. Alle Fahrzeuge halten an, Fahrer:innen steigen aus und knien sich am Wegesrand nieder, um einer fremden Person die letzte Ehre zu erweisen. – Ich erreiche die endlich Nova Poshta und fahre rückwärts an die Rampe.

Mein Freund Petro wartet dort auf mich. Es ist 09:15. Wir haben nun knapp drei Stunden Zeit um den Van auszuladen, alles auf Paletten zu laden, zu etikettieren und in den Versand zu geben. – Wir ackern, lachen, schwitzen und frieren irgendwann.

Es ist -8 °C, wir arbeiten im Freien, ich schwitze nicht mehr, mir ist nur noch kalt. Schweinekalt. In den Geschenken für die Soldat:innen, liegen meistens Hand- und Fußwärmer. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ein Mensch diese Kälte dauerhaft ertragen kann.

Petro und ich, bekommen es hin. Alle Paletten sind bis 12 Uhr im Versand. Weihnachten ist für einige Kinder, Familien und Soldat:innen gerettet. Petro und ich reden kurz über die Ukraine. Über Luftangriffe, Stromunterbrechungen, Wassersperrungen, dann muss ich los. – Ich fahre wieder nach Hause. Ich habe noch eine zweite Tour in die Ukraine geplant. Der Grenzübergang von der Ukraine nach Polen ist menschenleer. Die Straßen in Polen ebenfalls. Es ist der 24. Dezember. Ich liege um 23:00 Uhr wieder in meinem Bett zu Hause.

Teil 2

Der 25. Dezember beginnt mit Arbeit. Ich habe Laptops für ukrainische Drohneneinheiten gespendet bekommen. Es muss noch Linux installiert werden, der Van muss ausgeladen werden, ich habe Pakete aus der Ukraine mitgenommen, welche in Deutschland verschickt werden müssen. Ich treffe mich mit Alexander, einem anderen durchgeknalltem Freiwilligen, um 17:00 Uhr am Lager. – Alex ist ein Profi, wir haben zusammen schon unzählige Vans ein- und ausgeladen, wir sind ein Team, nach zwei Stunden fahre ich wieder los in die Nacht. Ich habe viel Winterkleidung geladen. Winterkleidung klingt immer so trivial. Aber die Ukraine ist ein durchdigitalisiertes, bettelarmes Land, welches Woche für Woche immer weiter ausblutet. Und natürlich habe ich auch Wolle dabei und Nähmaschinen, und High-Tech für einen Stabilisierungspunkt. – Das sind Mini-Krankenhäuser an der Frontlinie, eingegraben im Erdreich, wo die verletzten Soldat:innen überhaupt erst einmal in einen transportfähigen Zustand gebracht werden, bevor es zur Behandlung in ein richtiges Krankenhaus, hunderte Kilometer hinter die Frontlinie geht. – Wer Bilder von Stabilisierungspunkten sieht, mit Ärzt:innen spricht, welche dort arbeiten, bekommt einen ziemlich guten Eindruck von diesem Krieg: Niemand hat die richtigen Worte, um zu beschreiben, was in unserer Nachbarschaft passiert. Was Menschen sich antun können.

Die Autobahn ist menschenleer, ich erreiche die ukrainische Grenze um 03:30 in der Nacht. – Fast habe ich das Gefühl, dass die Grenzbeamten sich freuen, noch etwas zu tun zu haben. Neben mir, sind wieder nur verrückte Freiwillige mit 4×4 Off-Road Pickups in der Warteschlange. – Und ein Konvoi mit 30 Sprinter Transportern. – Ich kann diesen Freiwilligen leider niemals sagen, wie Dankbar ich für ihre Zeit und ihre Energie bin. Dafür ist es an der Grenze zu stressig. Also lächle ihnen immer nur zu.

Der ukrainische Zoll hat heute Zeit und durchsucht mein Auto sehr gründlich. – Ich verstehe ihn. Es werden viele Waren „humanitär“ deklariert und dann auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die Ukraine hat ein Korruptionsproblem. Aber alles läuft gut, ich bin heute sehr schnell, die Straßen in der Ukraine sind menschenleer, zwei Stunden vor der Öffnungszeit stehe ich vor der Nova Poshta und schlafe im Auto noch eine Runde, bevor Petro mich weckt und wir loslegen.

„The same procedure as last year?“, fragt er lächelnd. – „The same procedure as every year.“, antworte ich. Es ist mein viertes Weihnachten in der Ukraine. Diese Hilfe ist ein Tropfen im Ozean.

Petro und ich laden aus. Drei Paletten werden es schließlich mit Winterkleidung für Flüchtlinge. Der Versand kostet 210 EURO. Ich bezahlte das privat. Und dreißig weitere Kisten, mit ziemlich wertvollem Equipment, gehen an andere Organisationen. Es ist 10 Uhr, als wir fertig sind. Wir drücken uns zum Abschied. In der Ukraine weiß man nie, ob man sich noch einmal sieht. Auch die West-Ukraine wird regelmäßig bombardiert. Energieanlagen, Wohnblöcke, Fabriken und Logistikzentren. – Daher ist es eigentlich keine schlaue Idee von mir, direkt vor so einem Knotenpunkt zu parken und schlafen.

Ich fahre zurück zur Grenze. Militärjeeps mit Jammern auf dem Dach kommen mir entgegen. – Jammer sollen helfen, die Funksteuerung von Drohnen zu unterbrechen. Das funktioniert so gut, so dass Russland und China eine große Offensive begonnen hat, und nun vermehrt Glasfaserdrohnen einsetzt, welche nicht elektromagnetisch gestört werden können. – Es ist ein brutales Katz- und Mausspiel. – Ich habe vor einigen Wochen 250km Glasfaserkabel für Drohnen bestellt. Und mein Geschäftspartner in China erzählte mir, dass sie aktuell 80.000 Kilometer produzieren und die Produktion jeden Monat ausbauen. – Dieser Krieg ist ein industrieller Vernichtungskrieg.

Es ist mittags, der 26. Dezember. Der Grenzübergang aus der Ukraine nach Polen ist verstopft. Ich beginne mit der Social-Media Arbeit, poste Fotos, schicke Videos in verschiedene Gruppen, gebe Status und erhalte tatsächlich schon die ersten Dankesnachrichten zu den Weihnachtsgeschenken. Dann klopft es an meiner Scheibe. Majic komme aus Polen und erklärt mir, dass die Lichtmaschine in seinem Audi kaputt gegangen ist.

Er fragt mich, ob wir seine Batterie in meinem Ford Transporter aufladen können, solange wir an der Grenze warten. – Nun beginnt ein typischer osteuropäischer Auto-Stunt: Ich wende meinen Transporter, wir verbinden die Starthilfekabel und immer, wenn sich die Autoschlange bewegt, fahre ich Rückwärts in Richtung der Abfertigung, Majic schiebt den Audi um die Batterie zu schonen und Piotr trägt die Starthilfekabel. – Das sieht komisch aus, aber das ist gelebte Solidarität.

Es ist schweinekalt. – Ich lade Majic und Piotr in meinen Ford ein, damit sie sich aufwärmen können. Wir beginnen zu reden. Piotr ist zwar Pole, aber kämpft als Soldat in der ukrainischen Armee. Wir reden über meine Motivation zu helfen, wir sprechen über seine Motivation zu kämpfen. Wir sprechen über die politischen Möglichkeiten zur Beendigung des Krieges, wir sprechen über die Lage an der Front, wir reden über die Bevölkerungen in Polen und Deutschland, welche den Krieg in der Ukraine gerne ignorieren. Wir reden über unsere Großeltern, über die Feindschaft zwischen Polen und Deutschland. Machen Witze zur Versöhnung, über deutsche Panzer, reden über den Fall des Ostblocks. Wir kommen alle aus der gleichen Generation. Nach drei Stunden stehen wir an der Abfertigung und die Völkerverständigung „Light“ endet. Wir umarmen uns. Tauschen uns auf Social Media aus. Die beiden sind toll. Und lustig. Und Menschen welche tief an Solidarität glauben.

Ich tuckere 900 Kilometer auf der Autobahn nach Hause. Denke über das Erlebte nach. Über diesen kurzen sehr intensiven Schnappschuss. Der Wettergott meint es gut mit mir, das Glatteis beginnt erst als ich von der Autobahn abfahre und die letzten Kilometer Landstraße fahren muss.

Ich falle schließlich ins Bett. Ich würde gerne öfter fahren, die Menschen in der Ukraine noch besser unterstützen, aber ich habe für diese zwei Touren 1400,00 EURO für Benzin, Maud und Porto für die Nova Poshta bezahlt. – Das ist ein ziemlich teures Hobby.

Von webmaster

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